Schweden. Sehnsüchtig erinnern wir uns an unsere Kindheit zurück, als Pippi, Michel und Co. unsere apfelbäckigen Gesichter zum Strahlen brachten. Als weder Teletubbies noch Powerpuffgirls unser Fernsehprogramm ausmachten. Ach, war das herrlich. Und dann Midsommar … die Legende von immer fröhlichen Schweden, die ausgelassen tanzen, essen und lachen und von wunderbaren Sommern, die nie zu enden scheinen.
Auch mir hat Pippi damals eine ordentliche Gehirnwäsche verpasst. Und so angelte ich mir, im beziehungsfähigen Alter angekommen, einen Schweden. Einen richtigen Klischée-Schweden, wie ich ihn gerne nenne. Gross, blond und so weiter. Und letztes Jahr am 20.Juli war es dann endlich soweit: mein allererstes Midsommar-Fest!
Die Gästeliste war lang und die Vorbereitungszeit kurz – In Schweden ist man da eher spontan. Meine persönlichen Vorbereitungen begannen natürlich schon Wochen vorher: Ausgiebiges Sonnen, Friseur, Kleiderkauf – Wäre doch gelacht, wenn mitteleuropäische Mädchen da nicht mithalten könnten! Also, wo waren wir? Ach ja, die Vorbereitungen. Mein Liebster kaufte also allerhand ein. Von Schnaps bis Surströmming war alles dabei, was das Feinschmeckerherz begehrt. Ein Zelt wurde auch noch geshoppt, denn merke: an Midsommar ist immer, und ich wiederhole immer, schlechtes Wetter.
An besagtem Tage goss es wie aus Eimern. Egal, ich schmiss mich in mein luftiges cremefarbenes Chiffonkleid und begann mein ausgiebiges Styling. Der erste Eindruck zählt! Die Gäste trafen schliesslich gegen Mittag ein. Die Kerle mit Schnaps in beiden Händen, die Mädels mit zauberhaften Blumenkränzen auf den hübschen Häuptern. Die Trinkerei begann dann auch recht flott und das Zelt wurde aufgebaut. Ja, genau. Als guter deutscher Gastgeber undenkbar! Im kühlen Norden schert sich da keiner einen kleinen Elchhaufen drum. Das Zelt stand kurze Zeit später und die Ersten schon nicht mehr …
So weit so gut. Eins kam dann zum anderen und bald entledigte sich ein kräftiger Junge, der wie Karlsson vom Dach persönlich aussah, seines Aquavits und das direkt am Saum meines fabelhaften Kleides – grossartig!
Das Essen war angerichtet. Wie üblich in Schweden, gab es eine grosse Auswahl kulinarischer Leckereien, damit die Gäste den restlichen Tag überstünden. Kartoffeln mit Dill, verschiedenste Fische, eigentümlich riechende Saucen, Steaks, Kartoffelsalat, Brot. Bis heute ist mir die Zusammenstellung schleierhaft. Wir begannen also alle zu speisen, wobei mir das Führen der Gabel zum Mund schon recht schwer fiel – Welcher halbwegs normale Mensch gönnt sich auch schon Mittags harten Alkohol?! Aber als ehemaliger Student konnte ich gut mithalten.
Nach dem Essen torkelten wir dann hinunter zum Steg. Von da an fehlten mir volle 20 Minuten. Ich „erwachte“ auf der anderen Uferseite, völlig perplex, wie ich überhaupt den Einstieg ins Boot bewältigt hatte. Später erzählte man mir, dass mein Schwede sich meinen röchelnden Körper über die Schulter geworfen und mich dann an Bord geschafft hatte – peinlich. Auf der anderen Seite packten mich die anderen Mädels und wir fingen an, vermeintlich sinnlos, Grünzeug zu pflücken. Gräser, Löwenzahn, Margeriten, Lupinen. Einen ganzen Arm voll hatte jede von uns schliesslich. Was die Männer in der Zeit taten? Sie fällten einen Baum. Ohne Witz. Es war zwar nur ein kleiner Baum, aber es war ein Baum! Die Ausbeute wurde dann ins Boot bugsiert. Keine Ahnung wozu, aber mit einem dauerdümmlichen Grinsen im Gesicht, war das für mich in diesem Moment absolut irrelevant.
Wieder am herzigen, roten Häuschen meines Freundes angekommen, begannen wir zu bauen. Was, wusste ich auch nicht so genau. Als wir das Ungetüm aus Holz und Pflanzen dann schliesslich hissten, wurde mir der Sinn und Zweck schlagartig bewusst: Es war eine Majstange! Völlig erstaunt von meiner eigenen Genialität, stieg ich in Tanz und Gesang mit ein. Die Schweden sangen irgendwas von einem kleinen Frosch ohne Schwanz – zumindest das verstand ich damals. Der passende Tanz dazu war auch eher chaotisch. Abwechselnd fasste man sich an Kopf, Hüfte und Hintern und hüpfte dazu quakend um die wankende Stange. Nicht zu vergessen, dass einem zwischendurch immer grosszügig eingeschenkt wurde – ein riesiger Spass!
Gegen 17 Uhr mussten dann schon die ersten erwachsenen Männer von ihren Müttern abgeholt werden, so schlecht erging es ihnen. Ich dagegen kann stolz verkünden, dass ich mich ganz wacker schlug.
Fika-Zeit. Bei Fika handelt es sich um eine Art Kaffeekränzchen, das in den meisten Haushalten zwei Mal am Tag eingenommen wird. Singend und wankend begaben wir Mädels uns in die Küche um dort eine köstliche Torte aus frischen Erdbeeren und Sahne herzustellen. Der Karlsson-vom-Dache-Junge wollte es sich dann nicht nehmen lassen und balancierte die Torte hinaus ins Freie. Unter grossem Gelächter fiel der Gute, kurz vor dem Erreichen der rettenden Tischplatte, über einige Bierdosen und ruinierte uns den Kuchenschmaus und sich das Kopfbein, einen Knochen im Handgelenk. Der zuständige Notarzt beendete die bizarre Szenerie schliesslich.
Nachdem es Karlsson vom Dach umgehauen hatte, kam der Rest nicht mehr so richtig in Fahrt. Wir gingen ins Haus und kurze Zeit später pennten knapp 25 Leute vor einem behaglichen Kaminfeuer, während ein letzter standhafter Schwede eine lautstarke Version von „Waterloo“ zum Besten gab.
Der nächste Morgen begann mit hämmernden Kopfschmerzen und Kaffee-Vodka. Wobei das Verhältnis dieses süffigen Getränks fraglich ist. Praktischerweise hatte der Nachbarshund sich die Reste unserer Midsommar-Tafel schmecken lassen, sodass der Tisch frei war für Knäckebrot, Marmelade und Fisch. Den Tag verbrachten wir dann mit jeder Menge typischer Spiele, wie Kubb, ein feines Spiel mit Holzkegeln. Das Gewinner-Team erhielt zwei Fässer Starkbier – hurra!
Am Abend wurde dann an das Gelagere vom Vorabend angeknüpft. Nach drei Tagen Schnaps, Fisch und Singerei, bestieg ich dann schliesslich das Flugzeug.
Und heute, fast ein Jahr später, kann ich sagen, dass es ein ganz wunderbares Fest war. So viel Fröhlichkeit und nettes Beisammensein habe ich schon länger nicht mehr erlebt. Auch das Wetter hat, entgegen meiner Erwartungen, der grossartigen Stimmung keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil. Es gibt nichts Schöneres als im warmen Sommerregen gröhlend um einen selbstgepflanzten Baum zu tanzen, dabei mit netten Menschen über den Sinn des Lebens zu philosophieren und ab und an das ein oder andere Gläschen Hochprozentiges zu schlürfen.
Für kommenden Midsommar habe ich mir aber fest vorgenommen, mich mit der tieferen Tradition dieses Festes zu beschäftigen und die genauen Hintergründe zu recherchieren – einfach so, weil ich Bock drauf hab.
Falls ihr irgendwann die Möglichkeit haben solltet an einem Midsommar-Fest teilzunehmen, verdammt, tut es! Die Schweden sind zwar ein eigentümliches kleines Völkchen, aber sie wissen, wie man richtig feiert und das Leben geniesst.
In diesem Sinne: Glad Midsommar und Skål!
M. von geschenkidee.ch-Team bittet um Verständnis und möchte unerkannt bleiben
PS: Halte euch vom Surströmming fern.